Das Ende des Flickenteppichs. Wer seine Organisation agil und effizient gestalten will, sollte lokale Optimierungen vermeiden. Es braucht ganzheitlich und durchgängig beschriebene Prozessketten, die aktiv gemanagt und digital modelliert sind.
Ob Transformationsprojekte, Produkteinführungen oder Netzwerkoptimierung, Unternehmen sind heute mehr denn je gefordert ihre Strukturen stetig zu hinterfragen, anzupassen oder neu zu gestalten. Oft sind die Ziele klar. Unternehmen wollen serviceorientierter, agiler und effizienter werden. Sie wollen Wachstumschancen wie die Internationalisierung der eigenen Geschäftsfelder und neue Technologien zur Entwicklung innovativer Produkte und Prozesse nutzen.
Problematisch ist, dass trotz zahlreicher Initiativen und hohen Investitionen die Ergebnisse solcher Transformationsprojekte tendenziell hinter den Erwartungen zurückbleiben (Abb. 1). Es lässt sich vorab nicht erkennen in welchem Ausmaß Veränderungen erforderlich sind und welche Folgen sie für die operativen Abläufe im Unternehmen haben. Hinzu kommt, dass zahlreiche Initiativen in separaten Unternehmensbereichen unkoordiniert und unabhängig voneinander durchgeführt werden. Als Ergebnis bleiben kurzfristige, dezentrale Verbesserungen, während die großen Hebel zur Transformation ungenutzt bleiben.
Ergebnisse von Reorganisationen verfehlen in der Regel ihre Ziele
Eine bewährte Möglichkeit, um komplexe organisatorische Veränderungen ganzheitlich und mit unternehmensweiten Effekten umzusetzen, bildet die prozessorientierte Organisationsgestaltung. Sie verbindet die strategische Unternehmensplanung mit der operativen Umsetzung. An die Stelle lokaler Initiativen tritt die abteilungsübergreifende Ausrichtung der Prozesse auf den Wert aus Kundensicht. Durch die ganzheitliche Betrachtung werden „Silos“ zielgerichtet aufgebrochen und neben einem strukturierten Transformationskonzept eine End-to-End-Prozessdenke verankert.
Der Ansatz der prozessorientierten Organisationsgestaltung ist nicht neu. Doch Herausforderungen wie die digitale Transformation oder das Internet der Dinge haben ihn in den letzten Jahren zunehmend in Vergessenheit geraten lassen. Dabei ist grade die Transparenz über Abläufe essenziell für die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen. Die Erkenntnis, dass das Fehlen transparenter bzw. nicht ausreichend optimierter Geschäftsprozesse eine der Hauptursachen ist, wenn ERP- bzw. PLM-Einführungsprojekte scheitern setzt sich immer mehr durch. Entsprechend besteht beim Thema Geschäftsprozessmanagement weiterhin erhebliches Potential. Mit der Digitalisierung der Modellierung und Analyse von Prozessen sind zudem die Mittel und Optionen deutlich umfangreicher geworden. Cloud-basierte Tools eröffnen durch ihre Skalierbarkeit neue, effiziente Möglichkeiten zur system- und bereichsübergreifenden Prozessoptimierung. Mit ihrer Hilfe lassen sich auch komplexe Prozessstrukturen abbilden und schlüssige Gesamtkonzepte entwickeln.
Zur erfolgreichen Reorganisation von Unternehmen sollte der Fokus auf den zentralen Faktoren liegen. Unser Ansatz konzentriert sich daher auf die optimale Kombination von Prozessen, Kennzahlen, Steuerungssystemen sowie Organisationsstrukturen und ist das Ergebnis zahlreicher Projekte. Die Implementierung eines geeigneten Tools zum Prozessmanagement haben wir dabei in drei übergeordneten Phasen verankert (Abb. 2).
Unser Lösungsansatz zur Umsetzung einer prozessorientierten Reorganisation
Die Prozesslandkarte aufbauen und Handlungsfelder identifizieren
Der Aufbau einer prozessorientierten Organisation beginnt mit der Gestaltung der Prozesslandkarte, d. h. der obersten Ebene der hierarchisch aufgebauten Prozessarchitektur. Sie strukturiert sämtliche Prozesse des Unternehmens und bildet den Wert ab, den das Unternehmen Kunden durch seine Produkte oder Dienstleistungen bietet. Anhand der Prozesslandkarte können Reifegrade bestehender Prozesse abgeleitet, wesentliche Handlungsfelder identifiziert und priorisiert werden. Um die Vorteile der Cloud-basierten Modellierung von Prozessen in den folgenden Phasen nutzen zu können, sollte parallel zum Aufbau der Prozessarchitektur mit der Implementierung einer geeigneten Modellierungs- und Kollaborationsumgebung begonnen werden. Diese dient während und nach der Transformation als zentrale Wissensbasis für das Projektteam und die gesamte Organisation.
Ist-Prozesse aufnehmen und Schwachstellen transparent machen
Die im ersten Schritt identifizierten Handlungsfelder müssen durch die Analyse kritischer Teilprozesse in der zweiten Phase weiter detailliert werden. Im Rahmen von Workshops, mit Data Science Methoden oder auch Process Mining können ausführliche Einblicke in laufende Prozesse gewonnen werden. Die Analysen legen zentrale Schwachstellen offen und ermöglichen die gezielte Ableitung von Handlungsempfehlungen. Erfahrungen haben gezeigt, dass in dieser Phase auch die Einbindung einer möglichst breiten Gruppe an Prozessbeteiligten z. B. durch die Freischaltung des Prozess-Portals erfolgen sollte, um die Voraussetzung für die letzte Phase des Projektes in Form einer geeigneten Kollaborationsplattform zu schaffen.
Soll-Prozesse gestalten und eine strukturelle Basis für die Reorganisation schaffen
In der letzten Phase erfolgt die Gestaltung der Zielorganisation. Im Prozess-Portal werden mit dem Projektteam Soll-Konzepte erarbeitet und Rollen sowie Verantwortlichkeiten festgelegt. Gemäß dem Grundprinzip „structure follows process“ wird ein Zielbild für die Aufbauorganisation des Unternehmens definiert. Durch die Definition standardisierter KPIs werden Fortschritte transparent und messbar gemacht. Dieses Tracking-System ermöglicht Unternehmen potenzielle Schwachstellen systematisch nachzuverfolgen und Lösungen zur weiteren Optimierung zu entwickeln.
Transformationsprojekte können nicht in einem „Silo“ erfolgen. Nachhaltige Erfolge organisatorischer Veränderungen beruhen auf einer ganzheitlichen und cross-funktional initiierten Transformation. Der Aufbau und die Ausrichtung der Prozesslandkarte an dem Wert aus Kundensicht bildet eine weitere Voraussetzung zur Neustrukturierung von Geschäftsbereichen. Cloud-basierte Tools sorgen in diesem Zusammenhang für die erforderliche Transparenz und bieten eine Plattform zur Zusammenarbeit. Die prozessorientierte Reorganisation bietet somit weiterhin einen geeigneten Ansatz, um Unternehmen auf die aktuellen Herausforderungen vorzubereiten und agil und effizient auszurichten. Das richtige Vorgehen und die richtigen Werkzeuge leisten dabei einen entscheidenden Beitrag zur Qualität des Ergebnisses.
Quelle: [1] Goffin H. (2020) Changemanagement, seit 30 Jahren zu wenig Erfolg – und jetzt? In:
Erfolgsunternehmen – empirisch belegte Wege an die Spitze. Springer Gabler, Berlin,
Heidelberg, S. 493.
Dr. Markus Stoffel
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Lena Kriesel
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