Können Sie in der heutigen volatilen Geschäftswelt mithalten oder hadern Sie zunehmend mit internen, bürokratischen Prozessen, überkomplexen Strukturen und zunehmender Veränderungsresistenz in Ihrem Unternehmen?
Wenn Letzteres der Fall ist, wird es höchste Zeit, sich mit dem Thema „Agilität“ zu beschäftigten. Oft zitiert, doch nur in den wenigsten Fällen wirklich verstanden und noch viel seltener wirklich gelebt.
Agilität ist die Fähigkeit zur Antizipation von relevanten Veränderungen im eigenem Umfeld und die schnelle sowie effektive Adaptionsfähigkeit an solche Veränderungen. Speziell in einem volatilen Wettbewerbsumfeld stellt eine agile Entwicklungslandschaft sicher, dass die richtigen Produkte und Leistungen schnell und zielgerichtet entwickelt werden. „Nicht agiles Projektmanagement“ liefert die Entwicklungsergebnisse allzu oft viel zu spät und trifft den honorierten Kundennutzen nicht genau genug. Zusätzlich zum Zeitverzug sind Over- und Under-Engineering typische Verschwendungen, die die Wettbewerbsfähigkeit auf fatale Art und Weise; dramatisch verschlechtern.
In zunehmenden Maße versuchen Unternehmen die Vorteile eines agilen Vorgehens in ihren Strukturen und Prozessen zu verwirklichen, um Wettbewerbsvorteile strategisch aufzubauen. Zahlreiche Studien belegen, dass agile Unternehmen flexibler am Markt agieren, eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit aufweisen und somit den aktuellen Megatrends wie Digitalisierung und Elektromobilität erfolgreich begegnen können.
Was bedeutet Agilität?
Ordnungsrahmen zur Gestaltung agiler Organisationen
Zur Umsetzung von agilen Entwicklungsprozessen bedarf es neben einer Reihe von Voraussetzungen und Änderungen der Rahmenbedingungen vor allem einem Umdenken in den Köpfen aller Beteiligten; ansonsten „spielt man nur Agilitätstheater“ mit der Folge, dass die möglichen Verbesserungspotenziale nicht erreicht werden, Mitarbeiter frustriert zurückbleiben und der Begriff der Agilität im Unternehmen verbrannt wird. An Hand von agilen Werten, Prinzipien und Methoden lassen sich die wesentlichen Elemente eines agilen Vorgehens auf den unterschiedlichen Ebenen beschreiben (Abb. 2): Hierbei werden drei Handlungsfelder unterschieden:
Agilität beginnt in den Köpfen und braucht ein kollaboratives Arbeitsumfeld mit einer vernetzten Wissensorganisation.
Sind zugleich stabil und flexibel auszulegen. Hierzu zählen hochiterative Prozesse, die auf exaktes Treffen von Kundennutzen ausgerichtet sind, sowie netzwerkorientierte Strukturen mit Selbstorganisation der cross-funktionalen Entwicklungsteams, kurzen Entscheidungswegen und kongruenten Zielen.
Produkt- und Produktionstechnologien und -ressourcen sind marktorientiert und vernetzt auszulegen, so dass die Produkt- und Wertschöpfungsarchitekturen im Hinblick auf maximalen Kundennutzen und bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit optimiert werden.
Darüber hinaus fokussieren sich manche agile Ansätze nur auf die Themen „Führung und Kultur“sowie „Prozesse und Strukturen“, was zu inhaltslosen Vorgehensweisen ohne Berücksichtigung der eigentlichen Geschäftssituation führt. Zu einem ganzheitlichen Vorgehen gehört daher das Handlungsfeld „Technologien und Ressourcen“ unausweichlich dazu, um das agile Vorgehen auf die Spezifika des Geschäftsmodells und der Wettbewerbssituation auszurichten. An dieser Stelle sei auf die Lean Innovation Prinzipien, das Komplexitätsmanagement und die Grundsätze von Produkt- und Wertschöpfungsarchitekturen der Schuh-Gruppe verwiesen, die we-sentliche und erfolgskritische inhaltliche Grundlagen für ein erfolgreiches agiles Entwicklungsmanagement beschreiben. Ohne diese Prinzipien kann falsch ver-standene Agilität schnell zum Chaos z. B. einem Varianten- oder Release-Chaos führen.
Wer mit dem Thema agiles Entwicklungsmanagement wieder nur „eine neue Sau durchs Dorf treibt“ und andere Prinzipien vernachlässigt, der endet bei schlechtem Agilitätstheater.
Da die Einführung von agilen Entwicklungsprinzipien für viele Unternehmen ein nennenswerter Umbruch im Entwicklungsmanagement ist und dies nicht auf Knopfdruck passiert, erscheint es sinnvoll, den Umsetzungsgrad bezüglich agilem Management zu einem definierten Zeitpunkt als Ausgangsbasis zu erfassen. Am Projektbeispiel eines Agilitätsaudits bei einem Komponentenlieferanten soll gezeigt werden, wie der Status Quo eines Entwicklungsbereiches mit einem Reifgradmodell bewertet wird. Ziel des hier beschriebenen Audits war es, den Reifegrad einer ersten Piloteinführung von agilem Projektmanagement zu bestimmen und Handlungsoptionen für Verbesserungen zu identifizieren, bevor die benutzten Prinzipien und Methoden in andere Bereiche ausgerollt werden. Das Zitat von einem der Projektleiter belegt die Vorteile des agilen Projektmanagements: „Mit agilem Projektmanagement schaffen wir 30 % mehr“
Das hier eingesetzte Agilitätsaudit wird als sogenannte Gap-Analyse durchgeführt, bei der die jeweilige Ist-Situation mit Successful Practices verglichen und bewertet wird. Die Definition der Successful Practices basiert auf einer Vielzahl von Industrieprojekten, Benchmarking-Studien und theoriegeleiteten Untersuchungen. Sie stellen zu den relevanten Themenfeldern der agilen Werte, Prinzipien und Methoden jeweils bewährte Handlungsmuster dar, die ein erfolgreiches, agiles Entwicklungsmanagement sicherstellen.
Mit Hilfe eines 5-stufigen Reifegradmodells wird die Abweichung von den Successful Practices be-wertet und in einem Spinnendiagramm dargestellt (Abb. 3).
Ergebnis der Gap-Analyse mit fünfstufigem Reifegradmodell inkl. Priorisierung der Themenfelder mit signifikantem Verbesserungspotenzial
Beim Reifegrad 5 ist die Ist-Situation gleich dem Benchmark, während Reifegrad 1 die größte Abwei-chung von der Successful Practice zeigt und damit äußerst wenige der agilen Prinzipien umgesetzt sind. Parallel zur Gap-Analyse werden gemeinsam Hand-lungsoptionen zur Verbesserung der Ist-Situation identifiziert und im Hinblick auf eine zukünftige Soll-Situation priorisiert. Zur Priorisierung erhält jedes Teammitglied eine definierte Anzahl von Stimmen, die auf die relevanten Optionen zu verteilen sind (rote Punkte in Abb. 3).
Die beschriebene Form des Agilitätsaudits
Dr. Stephan U. Schittny
stephan.schittny@schuh-group.com
Jan-Hendrik Kraus
jan-hendrik.kraus@schuh-group.com