Branchenübergreifend und in Unternehmen mit Kleinst- als auch mit Großseriencharakter bleibt die interne Beherrschung externer Varianz eine der größten Herausforderungen des Managements. Oftmals bilden hier Produktbaukästen als eine Art der Produktarchitekturgestaltung die Grundlage für die erfolgreiche Beherrschung variantenreicher und kundenindividueller Produkte. Die Implementierung und das Wissen um Produktbaukästen sind mittlerweile weit verbreitet. Weniger verbreitet sind jedoch sogenannte Produktionsarchitekturen. Durch sie können ein Großteil der Potenziale implementierter Produktbaukästen in der Produktion gehoben werden. Welche Kraft Produktionsarchitekturen bieten wird im folgenden Artikel diskutiert.

Betrachtet man das Produktionsmanagement der letzten 30 Jahre so findet man die vielfältigsten Strukturierungsansätze in Theorie und Praxis vor. Von der durch Toyota implementierten Lean Philosophie mittels Production Systems über fraktale, modulare, segmentierte, mobile, vitale, agile, atmende, skalierbare, virtuelle, digitale und wandlungsfähige Fabriken bis hin zur Übertragung der Baukastenprinzipien auf die automobile Produktion durch Vertreter wie VW (modularer Produktionsbaukasten) und BMW (Prozessbaukästen) existieren zahlreiche, mehr oder weniger operationalisierbare Ansätze. Auch die in jüngster Zeit diskutierten Inhalte von Industrie 4.0 sowie Ansätze urbaner und idealer Fabriken müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. Die einzelnen Konzepte bauen dabei teilweise aufeinander auf oder sind miteinander kombinierbar. Ihre Grundausrichtung spiegeln die Ideen und Möglichkeiten der jeweiligen Entstehungszeit dar. Zweifelsohne ist jedem dieser Ansätze seine eigene Berechtigung zuzuweisen, doch können grundlegende Gemeinsamkeiten identifiziert werden. Es gilt auf der einen Seite Standards in der Produktion zu setzen. Auf der anderen Seite ist die Produktion möglichst flexibel auf die entsprechenden Rahmenbedingungen auszurichten.

Standardisierung und Flexibilität

Bedingt durch die Vielfalt im Produktprogramm hat die Produktion mit ständigen Entscheidungen bezüglich der Zuordnung von Produkten, Baugruppen und Komponenten auf die eigenen, oftmals global verteilten Standorte und externen Zulieferer zu kämpfen. Damit geht häufig auch eine, über die Standorte und Lieferanten hinweg, hohe Vielfalt an Produktionsprozessen, -ressourcen und -strukturen einher, was enorme Aufwände in der internen Planung, Beschaffung, Installation, Instandhaltung und in angrenzenden produktionsnahen Bereichen verursacht. Spezifische Fertigungsprozesse und Werkzeuge drücken besonders stark auf die variantenbezogenen Produktkosten. Schließlich haben unterschiedlich ausgelegte Produktionsanlagen einen unterschiedlichen Ressourcenverzehr bei gleichzeitigen Restriktionen, z. B. bedingt durch unterschiedliche Technologien und Automatisierungsgrade. Unterschiedliche Steuerungskonzepte und Fabrikstrukturen tun ihr Übriges zum Thema Vielfalt hinzu.

Die Antwort auf die Herausforderung der diversen Facetten von Vielfalt in der Produktion ist die Standardisierung. Dabei ist eine Standardisierung allein des Standards wegen nicht der richtige Ansatz, sondern es gilt immer dort Standards zu setzen, wo diese auch betriebswirtschaftlichen Nutzen stiften. Hier kommt also der Festlegung des Betrachtungsraumes und der Definition der Grenzen sowie der Bewertungskriterien eine wesentliche Rolle zu.

Dass mit einer hohen Produktvielfalt immer auch verkürzte Produktlebenszyklen einhergehen, ist bekannt. Zusätzlich lässt sich feststellen, dass durch das stark dynamische Umfeld die Kundenwünsche in den einzelnen Marktsegmenten schwanken, was weiterhin zu einem überproportional gestiegenen Bedarf an Variantenflexibilität in der Fertigung führt. Darüber hinaus führen die extrem schwankenden Nachfragemengen dazu, dass Prozesse, Ressourcen und Strukturen noch mengenflexibler ausgelegt und ständig angepasst werden müssen.

Die Antwort auf die Herausforderung der diversen Facetten von Dynamik in der Produktion ist die Flexibilität. Genau wie bei der Standardisierung gilt es nicht wahllos zu flexibilisieren, sondern ausschließlich an den Stellen, wo vorhersehbare Flexibilität benötigt wird und diese auch wirtschaftlich sinnvoll ist.

Der Begriff Produktionsarchitektur

Die Produktionsarchitektur beinhaltet eben genau diese beiden beschriebenen Prinzipien. Unter dem Begriff Produktionsarchitektur verstehen wir daher: die Summe aller Regeln und Informationen, die zur Gestaltung der Elemente einer (globalen) Produktion, deren Beziehungen sowie deren zeitlicher Stabilität und Ablauf erforderlich sind. Anders ausgedrückt ist eine Produktionsarchitektur eine abstrakte, ganzheitliche Darstellung des Aufbaus des soziotechnischen Systems „Produktion“ mit Planungs- oder Dokumentationscharakter. Wir unterscheiden drei Bereiche, die wir mit Prozessen, Ressourcen und Strukturen voneinander abgrenzen. Die erläuterten Prinzipien Standardisierung und Flexibilisierung bilden die Klammer und Grundlage zur Auslegung der drei Bereiche. Während unter Ressourcen insbesondere die Hardware im produktionstechnischen Rahmen gemeint ist, fokussiert der Bereich Prozess auf die produktionsseitigen Anforderungen an die Gestaltung des Produktes. Die Formulierung einheitlicher Anforderungen für verschiedene Produkte ermöglicht maximale Standardisierung bei maximaler Flexibilisierung der Prozesse. Unter Strukturen werden des Weiteren sowohl aufbauorganisatorische Aspekte betrachtet, als auch die in Zeiten von Industrie 4.0 immer wichtigeren IT-, Daten- und Steuerungsstrukturen in der Produktion behandelt.

Ausgehend vom einzelnen Produktionsprozess, der einzelnen Ressource und einer einzelnen Arbeitsplatzstruktur, deren Anforderungen an das Produkt eindeutig spezifiziert sein müssen, über Prozessketten und Standorte bis hin zum gesamten Produktionsnetzwerk sind die Prinzipien Standardisierung und Flexibilisierung umfassend anzuwenden. Neben diesen Ebenen der Produktion sind auch noch die Funktionen der Produktion zu berücksichtigen. Auch hier ist der richtige Grad an Standardisierung und Flexibilisierung einzustellen. Das beschriebene Denkmodell haben wir in Abbildung 1 für Sie zusammengefasst.

Abb. 1: Denkmodell Produktionsarchitektur

Beispiele und Nutzen

Konkrete Elemente einer Produktionsarchitektur finden sich mittlerweile in vielen Unternehmen. Vorreiter ist auch hier wieder einmal die Automobilindustrie, die mit ihren volumenund variantenreichen Serienprodukten ein hohes Einsparpotenzial vor Augen hat. Auf Basis des „modularen Querbaukastens“ (MQB) ist bei VW geplant, 1.000 Euro pro Fahrzeug einzusparen. Den Beitrag aus der Produktion liefert bei VW der sogenannte „modulare Produktionsbaukasten“ (MPB). Er ist das entsprechende Pendant zum Baukasten aus der Produktentwicklung.

In ihm sind alle relevanten Produktionsressourcen, -prozesse und -strukturen als Standard festgeschrieben: von Vorrichtungen mit entsprechenden geometrischen Aufnahmen über Betriebsmittel bis hin zum kompletten Fabrikdesign.

Der jeweilige Flexibilitätsgrad eines Standards ist anwendungs- bzw. länderspezifisch definiert. „One size fits all“ oder „totale Gleichmacherei“ ist hier nicht die Lösung. Die Einsparungen werden durch geringe Investitionskosten, geringere Aufwände bei Produktneuanläufen, niedrigere Instandhaltungskosten als auch durch die Senkung von Nonkonformitätskosten realisiert. Dabei ist darauf zu achten, dass sich Qualitätsfehler durch diesen Standardisierungsansatz viel massiver auswirken als bei der herkömmlichen Vorgehensweise mit Einzelprodukt-Fokus. Bei BMW setzt man neben den bekannten Produktbaukästen auf sogenannte „Prozessbaukästen“. In Prozessbaukästen werden übergreifende Anforderungen zur Standardisierung aus Sicht der Produktion an das Produkt definiert. Einmal festgelegte Prozessbaukästen sind an den entsprechenden Stellen zwingend einzusetzen. Abweichungen vom Prozessbaukasten werden bis auf Vorstandsebene gemeinsam von Entwicklung, Einkauf und Produktion entschieden.

Der durch diese Art von Produktionsarchitektur resultierende, monetäre Effekt basiert im Wesentlichen auf der Nutzung von Skalen- und Synergieeffekten. Die entstehende Kostendegression lässt sich sowohl in direkten Produktionsbereichen, als auch wie bei VW in der Beschaffung von Maschinen und Produktionseinrichtungen realisieren. Zu den weiterhin nutzbaren Einspareffekten gehört die Reduktion von Planungsaufwänden, die ebenfalls durch die Nutzung von Kommunalitäten über verschiedene Projektzyklen realisiert werden.

Abb. 2: Methodenelemente zur Gestaltung der Produktionsarchitektur

In unseren Beratungsprojekten unterstützen wir unsere Kunden bei der Planung, Gestaltung und Umsetzung der hier beschriebenen Ansätze. Von uns eigens für das Thema Produktionsarchitektur entwickelte und mittlerweile bewährte Methoden und Werkzeuge sind ausschnittsweise (Abb. 2):

  • Flex-Matrix zum Abgleich von Produkt- und Produktionsanforderungen
  • Technologie- und Prozessvarianten-Radar
  • Produktions-Schalenmodell zur Darstellung der Standards
  • Prozess- und Ressourcen Profile
  • Processowner Model

Fazit

Um die Kraft der Produktionsarchitektur zu verstehen, ist zunächst das Grundverständnis der Prinzipien Standardisierung und Flexibilisierung erforderlich. Die Bildung von Kommunalitäten auf den verschiedenen Ebenen der Unternehmung auf Grundlage dieser Prinzipien stellt das Kernziel dieses Strukturierungsansatzes dar. Der Effekt und damit die gesuchte Kraft bilden umfassende Einsparungen von Planungseffekten sowie Skaleneffekte in den verschiedensten Bereichen. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen und viele Anregungen für Ihre tägliche Arbeit.

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