Produkt- und Produktionsarchitekturen beeinflussen die globale Wertschöpfungsstrategie

Globale Produktionsnetzwerke sind in der Praxis häufig das Ergebnis evolutionärer Entwicklungen. Infolge strategischer Einzelentscheidungen über Verlagerungen und Rückverlagerungen sowie Verkäufen und Akquisitionen sind globale Produktionsstrukturen entstanden, die nur selten Ergebnis gezielter strategischer Planungen sind. Zur Nutzung aller Potenziale modularer Produktarchitekturen ist auch die Einbeziehung der Standort- und Netzwerkebene in die Gestaltungsaktivitäten notwendig. Wie dies im Anwendungsfall aussehen kann, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.

Modulare Produktarchitekturen bilden in Hochlohnländern die Basis, um den Zielkonflikt zwischen Economies of Scale (dt.: Skaleneffekte) und Economies of Scope (dt.: Verbundeffekte) aufzulösen. Obwohl unstrittig ist, dass die Gestaltung der Produktionsnetzwerkstruktur direkte Auswirkungen auf die Faktorkosten und damit die Kosten des Produktes hat, werden diese Aspekte bisher nur selten berücksichtigt. Die Nutzung der wirtschaftlichen Vorteile der Produktarchitekturen wird jedoch erst durch die Einbeziehung der gesamten Produktion in die Betrachtung möglich. Das beinhaltet sowohl die konsequente Anwendung der Prinzipien Standardisierung und Flexibilisierung auf die Ebene der Prozesse und Ressourcen, als auch die Planung der Umsetzung auf Standort- und Netzwerkebene. Beides gilt vor dem Hintergrund maximaler Erfüllung von Kunden-/Marktanforderungen zu denen meist auch ein möglichst niedriger Preis und damit Kostenpunkt gehört.

Die richtigen Hebel im Griff haben

Die Bildung von Kommunalitäten der verschiedenen Produkte – als ein Ergebnis konsequenter Produktarchitekturgestaltung – ermöglicht zunächst die Standardisierung von Prozessen und Betriebsmitteln. Voraussetzung ist, dass die Produktion bereits in der frühen Phase der Produktarchitekturgestaltung in den Prozess einbezogen wird. Zahlreiche Iterationsschleifen und damit zusätzlicher Planungsaufwand werden so von Anfang an vermieden.

Die Umsetzung dieser Standards der Prozesse führt dann im Ergebnis zu einer Steigerung der Flexibilität des einzelnen Standortes sowie des gesamten Netzwerks (Abb. 1). Die Theorie erscheint an dieser Stelle recht simpel, doch wie sieht die Umsetzung in der Praxis tatsächlich aus? Welche Benefits lassen sich erzielen, wenn man die immensen Planungsaufwände bedenkt? Diese würden sicher deutlich geringer ausfallen, wenn in den gleichen gewachsenen Strukturen weiter produziert werden würde, die auch bisher gut funktioniert haben. Doch wird so sicher nicht ein wesentliches Ziel der Einführung modularer Produktarchitekturen, der Minimierung interner Vielfalt bei gleicher bzw. maximaler externer Vielfalt, erreicht. Welche Möglichkeiten bieten sich also auf Produktionsseite zur Anpassung?

Dem Praktiker bieten sich zunächst einmal die klassischen Stellhebel, der Verteilung der Produktion gemäß Mengen-, Arten- oder Prozessteilung. Die Planungsaufgabe stellt sich hierbei jedoch aufgrund der Vielzahl von Einflussfaktoren als äußerst komplex dar. Heterogene Standorte mit spezifischen, gewachsenen Strukturen und Kunden mit ebenso spezifischen und dynamischen Forderungen nach individuellen Produkten sind nur einige der Treiber, die das Optimierungsproblem komplex werden lassen. Hinzu kommen Unsicherheiten bezüglich zukünftiger Marktentwicklungen und Technologien und nicht zuletzt Restriktionen wie z. B. ein begrenztes Investitionsbudget. Auch lassen sich über Jahre gewachsene Strukturen nicht ohne großen Aufwand zurückabwickeln. Die Planer stehen vor dem Problem, den sprichwörtlichen „Wald vor lauter Bäumen“ nicht mehr zu erkennen.

Abb. 1: Zusammenhang von Standardisierung und Flexibilität in Produkt und Produktion

Die Wertschöpfungsstrategie gezielt planen

Ein Vorgehen, welches sich in unseren Beratungsprojekten bewährt hat, hilft dabei sich auf die wesentlichen Faktoren zu konzentrieren und dabei den Gesamtüberblick nicht zu verlieren. Es sieht vier einfache Bausteine vor, die für eine komplexitätsgerechte Produktionsnetzwerkgestaltung zu bearbeiten sind (Abb. 2).

Zunächst sind die strategischen Rahmenbedingungen zu klären und alle Gestaltungsaktivitäten danach auszurichten. Die Phase berücksichtigt dabei sowohl die auf der Standortebene existierenden Rahmenbedingungen der existierenden Strukturen, als auch die für die Gestaltung der Netzwerkebene notwendigen Leitplanken aus Absatz- und Beschaffungsmarkt. Es gilt bereits in dieser Phase den Lösungsraum der möglichen Netzwerkkonfigurationen auf ein Minimum einzuschränken. Durch die Berücksichtigung existierender Leitplanken aus interner und externer Sichtweise, kann die Zahl der Ausprägungen je Einflussgröße bereits stark reduziert und das Optimierungsproblem dadurch vereinfacht werden.

Der zweite Baustein sieht die Transparenz über Wechselwirkungen zwischen Produkt und Prozess vor. Erst wenn die gesamte Wirkkette von Marktanforderungen über Produktkomponenten bis hin zu Produktionsprozessen verstanden ist, und sowohl Vielfalt als auch Änderungszyklen auf allen Ebenen transparent sind, können die komplexitätstreibenden Merkmale aktiv reduziert und gemanaget werden. Der Aufbau von Merkmal- und Variantenbaum mit Hilfe unseres Complexity Managers ist dabei der erste Schritt, die Ableitung der richtigen konstituierenden Faktoren oder Merkmale ein zweiter.

Die dritte Phase des Vorgehens sieht die eigentliche Konfiguration der Wertschöpfungskette vor, woraus sich auch die dazugehörige Strategie ableitet. Auf der Ebene der Prozesse und Ressourcen muss zunächst definiert werden, welche Prozessketten – passend zur Produktarchitektur – das zukünftige Portfolio abdecken soll. Hier ist es selbstverständlich, dass nicht von der sprichwörtlichen „Grünen Wiese“ ausgegangen wird, sondern dass die Ressourcen und Anlagen betreffende Leitplanken, die in der strategischen Initiierungsphase ermittelt wurden, hier einfließen. Das neu angeschaffte, hochmoderne Laserzentrum kann hier genauso betroffen sein, wie die bereits abgeschriebene, stabil laufende mechanische Presse. Teil dieser Phase ist auch die Definition der Fertigungstiefe. In die Entscheidung über „Make“ oder „Buy“sollten dabei, neben Kostenaspekten auch die Frage der Kernkompetenzen mit einbezogen werden. Auch die Frage des Automatisierungsgrades der jeweiligen Prozessschritte kann Auswirkungen auf die Gestaltung des Netzwerks haben. Grundlage aller Überlegungen auf dieser Ebene bilden die unter dem Begriff Produktionsarchitektur zuvor definierten Regeln und Standards der Prozesse und Ressourcen.

Als nächstes geht es um die Allokation des Produktprogramms und seiner Komponenten und Baugruppen auf die existierenden sowie ggf. neuen Standorte. Neben den klassischen Teilungsarten, die bereits beschrieben wurden, erleichtert die Definition idealer Fabrik- und Netzwerktypen die Beschreibung der Szenarien. Diese sollten dabei als Blaupause verstanden werden und eine Optimierungsrichtung vorgeben. Stehen die Szenarien zur Anpassung der Wertschöpfungsstruktur, so sind diese quantitativ zu bewerten. Die klassische Wirtschaftlichkeitsrechnung bietet dabei zunächst den richtigen Ansatz zur Auswahl der Zielstruktur.

Abb. 2: Bausteine der komplexitätsgerechten Produktionsnetzwerkgestaltung

Ist diese definiert fehlt noch eine entscheidende Phase des Gestaltungsprozesses: das eigentliche Management oder die Koordination des Netzwerks. Hierzu gehört zum einen die dynamische Planung der Migration von der gegenwärtigen zu einer Zielstruktur. Dieser Schritt ist keineswegs trivial und sollte durch ein dynamisches Optimierungsmodell unterstützt werden. Auch sind Funktionen wie der Vertrieb oder das Produktmanagement miteinzubeziehen, da u. U. die Anpassung der Produktroadmap erforderlich ist. Zum anderen gilt es, das Wissen über die in Produkt- und Produktionsarchitektur geschaffenen Standards zu koordinieren. Sogenannte globale und lokale Prozessverantwortliche können dabei helfen die geschaffenen Standards, und damit die Flexibilität des Netzwerks zu bewahren – die Strukturen so stabil zu halten. Auf die sicher erforderlichen Maßnahmen zur Anpassung von Ablauf- und Aufbauorganisation an die entwickelten Strukturen soll an dieser Stelle nicht vertiefend eingegangen werden.

Nur durch die konsequente Einbeziehung aller Betrachtungsebenen der Produktion sowie der Anforderungen aus Markt und Produkt kann die komplexitätsgerechte Gestaltung des Netzwerks gelingen. In indirekten Bereichen können durch die produktgerechte Produktionsarchitekturgestaltung Einsparungspotenziale von Planungsaufwänden erreicht werden.

Die Ausnutzung von Skaleneffekten in Beschaffung und Produktion gilt als Vorteil der modularen Produktarchitekturgestaltung. Diese in die Praxis umzusetzen, bedingt zwangsläufig eine Anpassung der existierenden Wertschöpfungsstruktur bzw. des gesamten Produktionsnetzwerks und damit der Überarbeitung der Wertschöpfungsstrategie. Sowohl direkte Kosteneffekte durch die richtige Ausnutzung von Faktorkosteneffekten, als auch indirekte Kosteneffekte lassen sich so mit dem skizzierten Vorgehen realisieren. Weitere Ausgangspunkte für Maßnahmen zur Generierung direkter und indirekter Kosteneffekte haben wir für Sie in Abbildung 3 zusammengestellt.

Abb. 3: Potenziale ganzheitlicher Produktionsnetzwerkgestaltung

Fazit

Wer die Vorteile modularer Produkt- und Produktionsarchitekturen umfassend nutzen und Skaleneffekte realisieren will, darf auch bei der Anpassung der globalen Wertschöpfungs- bzw. Produktionsnetzwerkstrategie nicht zurückschrecken. Nur eine konsequente Umsetzung der Prinzipien in der gesamten Wertschöpfungskette des Unternehmens bringt die erhofften Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen. Für die Produktion sind dabei weiterhin die klassischen Ziele Zeit und Kosten im Fokus der Betrachtung. Es gilt jedoch, diese Betrachtungen auf den verschiedenen Ebenen separat durchzuführen.

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