Was bedeuten die derzeitigen Megatrends für die verschiedenen Module der Fahrzeugarchitektur? Vor welchen Herausforderungen steht das Innovationsmanagement in den einzelnen Fahrzeugmodulen? Wie lassen sich die Kosten durch Methoden des Komplexitätsmanagements hierbei sinnvoll beherrschen und Nutzen daraus schlagen?
Die Herausforderungen für die Automobilindustrie sind schnell benannt. Für die Branche steht ein Wandel an, welcher sie an mehreren Fronten gleichzeitig unter Druck setzt: Um wettbewerbsfähig zu bleiben müssen enorme Investitionen in den Feldern der Digitalisierung und Mobilitätsdienstleistungen, dem autonomen Fahren sowie der Elektrifizierung der Antriebskonzepte gestemmt werden. Denn gerade mit der zunehmenden Digitalisierung des Produkts ergeben sich auch niedrigere Markteintrittsbarrieren für neue Wettbewerber aus der Softwareindustrie, die wiederum, das Suchen von neuen Geschäftsmodellen und -feldern erzwingen. All dies findet zu einem Zeitpunkt statt, da die Kunden beim Umstieg auf das Elektroauto zögern und der Absatzmarkt eher stagniert. Hinzu kommt eine Rezession, die sich, verschärft durch die Corona-Krise, weltweit simultan entfaltet und somit die Margen weiter schmälert. Unter diesen Bedingungen müssen die OEMs prüfen wie sie auf der Kostenseite effizienter agieren können. Im Kern geht es darum die Produktkomplexität besser zu managen. Die Modularisierung der Fahrzeuge gepaart mit verstärkter Bauteilintegration muss intensiviert werden. Entlang der klassischen Fahrzeugmodule Karosserie, Antrieb und Fahrwerk, Hardware und Software sowie Ausstattung ergeben sich neue Trennlinien zwischen Eigen- und Fremdfertigung, was auch für die Zulieferer neue Chancen im Zusammenarbeitsmodell bedeutet. Auf diese Entwicklungen gehen wir im Folgenden in zwei Teilen näher ein und skizzieren damit einhergehende Optimierungspotenziale im Innovationsmanagement.
Im Bereich der digitalen Fahrzeugarchitekturen wird sich zukünftig, insbesondere für die deutschen Premium-OEMs, die Wettbewerbsfähigkeit entscheiden und demzufolge der größte Bedarf an Differenzierungsmerkmalen ableiten. Ziel der OEMs wird es sein jeweils ein „Ökosystem Auto“ zu erschaffen in dem sich der Kunde wohl fühlt und es nach Möglichkeit, aufgrund umfangreicher Dienstleistungen und Services für die täglichen Bedürfnisse, nicht mehr verlässt. Als Vorbilder gelten dabei die Smartphone-Betriebssysteme Android und iOS, welche großen Wert darauf legen die Nutzer ihrer Geräte langfristig zu binden und dies mit entsprechenden Features und USPs (Unique Selling Proposition) für die Nutzer ermöglichen möchten. Gerade die Technologiekonzerne aus dem Silicon Valley (inkl. Tesla) mit ihrer großen Softwareexpertise können zu ernsthaften Wettbewerbern werden. Die klassischen OEMs müssen deshalb auf diesem Gebiet große Anstrengungen unternehmen. Wer die notwendigen Investitionen nicht tätigen kann, wird zwangsläufig an Marktposition verlieren. Grundvoraussetzung hierfür bilden die tiefgreifende Vernetzung der Fahrzeuge mit der Umwelt, aber auch des darauf ausgerichteten Bordnetzes mitsamt den Fahrassistenzsystemen. Wir sehen hier zwei wesentliche Komplexitätsherausforderungen auf die Hersteller zukommen:
Elektrische Antriebe werden deutlich weniger Stellenwert als Differenzierungsmerkmal für die OEMs haben, wie es noch zu Verbrennerzeiten der Fall war. Die BEV-Antriebe sind weniger komplex und müssen nicht großartig abgestimmt werden. Die Antriebskomponenten können von verschiedensten Herstellern zugekauft und mit einem Batterypack kombiniert werden. Differenzierung kann sich hier noch bei ausgeklügelten Batteriemanagement-Systemen oder den ebenso immer softwarelastigeren Fahrdynamikparametern abspielen. Die Antriebsarchitektur (inkl. Fahrwerk) wird zukünftig nur noch in Einzelfällen eigenständig vom OEM entwickelt. Um die Kosten bei einem schwer zu prognostizierenden Technologiewandel hin zu Elektromobilität möglichst niedrig zu halten werden Hersteller mit kleineren Stückzahlen z. B. dazu übergehen strategische Partnerschaften zu vereinbaren. Neben den klassischen OEM-Partnerschaften werden hier Systemzulieferer eine große Chance haben. Sie weisen als Zulieferer mit mehreren OEMs als Kunden automatisch ein höheres Stückzahlpotenzial auf. Entsprechende Konzeptstudien, wie z. B. von Magna oder ZF, sprießen dementsprechend allenthalben aus dem Boden. Wir empfehlen in diesem Zusammenhang einen Paradigmenwechsel und im Zusammenspiel zwischen Lieferant und OEM zu prüfen wie die Komponenten für die gesamte Wertschöpfungskette auch unter Berücksichtigung der indirekten Kosten kostenoptimal ausgelegt werden können. Wie wir in mehreren Studien bei deutschen OEMs zeigen konnten, ergeben sich dadurch schnell Einsparpotenziale von mehreren Millionen Euro, weil sich so nicht nur Vorteile bei den Herstellern, sondern auch bei den Zulieferern heben lassen.
Wenn man diese Ergebnisse auf das gesamte Produktportfolio ausweitet, sind schnell noch höhere Summen realisierbar. Für diese sog. Komplexitätskostenbetrachtung ist es einerseits wichtig entsprechende Transparenz über die Aufwände in den Entwicklungsprozessen – beispielsweise für eine neue Bauteilvariante – zu generieren. Andererseits sollten auch ähnliche Bauteilanforderungen mehrerer OEMs bekannt sein. Durch Konsolidierung der Anforderungen zwischen OEM und Zulieferern und unter Einbezug der Kostensicht für die Bauteilvarianten, können damit Komplexitätsoptimale Entscheidungen für die gesamte Wertschöpfungskette getroffen werden.
Bis hierher haben wir die tiefgreifenden Trends der Automobilindustrie benannt und mit Hardware und Software sowie Antrieb und Fahrwerk deren Auswirkungen für die ersten beiden Fahrzeugmodule beschrieben. Im zweiten Teil unseres Beitrags werden wir die eingangs benannten weiteren Fahrzeugmodule beleuchten und Stellung beziehen zum Zukunftsbild des Fahrzeugentwicklungsprozesses.