Vor welchen Herausforderungen steht das Innovationsmanagement in den einzelnen Fahrzeugmodulen? Wie lassen sich die Kosten durch Methoden des Komplexitätsmanagements hierbei sinnvoll beherrschen und Nutzen daraus schlagen?

Nachdem wir im ersten Teil dieser Beitragsserie die Megatrends der Fahrzeugindustrie kurz beschrieben haben und auf die Module Hardware und Software sowie Antrieb und Fahrwerk eingegangen sind, möchten wir uns in diesem Teil der Ausstattung und Karosseriestruktur widmen und darüber hinaus auch allgemein dem Entwicklungsprozess bei Fahrzeugen an sich.

Fahrzeugausstattung

Analog zu den Antriebskomponenten ist auch bei der Fahrzeugausstattung das Rezept zur Behebung der immer weiter ansteigenden Komfortfunktionen in den Fahrzeugen, eine
zunehmende Standardisierung, Modularisierung und ein unterstützendes dauerhaftes Variantenmanagement. Insbesondere die Zulieferer für Sitzsysteme konnten bislang schon die relative Unabhängigkeit ihrer Baugruppe vom Fahrzeug nutzen und modulare Architekturen entwickeln, die dennoch auf die jeweiligen Bedürfnisse der Hersteller angepasst werden konnten. Diese Herangehensweise wird sich auch auf weitere Ausstattungsgruppen ausbreiten. Bei der Fahrzeugausstattung besteht unserer Meinung nach noch großes Konsolidierungs- und damit Standardisierungspotenzial. So werden beispielsweise noch viele Dach- oder Lichtsysteme zu sehr von den Lieferanten individuell auf den OEM zugeschnitten und es entsteht eine große Varianz. Hier müssen die Zulieferer verstärkt, und in Abstimmung mit den OEMs, darauf insistieren eine modulare Architektur einführen zu können. Nur wenn sie mehreren OEMs gleichzeitig weitgehend standardisierte, aber dennoch differenzierbare Baugruppen anbieten können, sind die Kosten weiter reduzierbar. Dabei müssen weitere Komponenten im Fahrzeug, die bisher eher eigenständig verbaut wurden, in eine kommunale Architektur integriert werden. Mittelfristig müssen auch die OEMs umdenken und die Partnerschaft mit den Zulieferern neu gestalten. Wenn beispielsweise letztere nicht erst bei der Serienentwicklung für einzelne Baureihen eingebunden werden, sondern bereits in der Konzeptionierung der Fahrzeugarchitekturen regelmäßig berücksichtigt werden, können hier schon wichtige Weichenstellungen zu einem gemeinsamen Nutzen getroffen werden. Zulieferer könnten an Profil gewinnen und frühzeitig Anforderungen an die Architektur definieren (beispielsweise im Bezug auf die eigenen Herstellprozesse) und im Gegenzug sich daraus ergebende Kosteneinsparungen auch an die OEMs weiterreichen.

Karosseriestruktur

Quasi als ausgleichende Gegenmaßnahme zu den schweren Batteriesystemen der BEV- oder gar PHEV-Modelle sowie der kontinuierlich zunehmenden Anzahl an Elektronik und Ausstattungsoptionen wird die Karosseriestruktur weiterhin immer leichter werden müssen, bei gleichbleibend hohen Festigkeitsanforderungen und niedrigen Kosten. Auf technologischer Seite wird daher der Materialmix aus Stählen, Aluminium und ggf. CFK sowie der Einsatz von Tailored Blanks immer weiter optimiert. Für bisherige Komponentenhersteller ergeben sich dabei Chancen sich als Lösungsanbieter zu positionieren und den bisherigen Kostendruck durch Entwicklungspartnerschaften und weitere Reduktion der prozessualen Komplexitätstreiber zu reduzieren. Wie dies konkret realisiert werden kann, erfahren Sie in unserem demnächst erscheinenden Interview mit Dr. Stephan Schittny. Dort skizzieren wir mögliche Vorteile durch das Design-for-Manufacturing oder -Cost und heben auch hervor welche Randbedingungen in der Zusammenarbeit hierfür notwendig sind.

Innovationsmanagement

In Projekten haben wir gesehen wie der anhaltende Kostendruck in der Branche dazu verleitet, dass gerade in Matrixorganisationen der Fokus zu sehr auf die Kostenstruktur einzelner Baureihen oder gar Derivate gerichtet wird und das Gesamtoptimum dabei aus dem Blick gerät. Ein flächendeckendes Baukastenmanagement mit Verantwortlichkeiten in jedem Fahrzeugmodul muss etabliert sein, um die vorhandenen Potenziale auszuschöpfen und ein Gegengewicht zu den Produktlinien zu bilden. Es gilt noch konsequenter die Einhaltung von Standardisierung an allen erdenklichen Stellen durchzusetzen und zu moderieren. Wir empfehlen daher in jedem Fahrzeugmodul dafür Fachabteilungen für Variantenmanagement und eine strategische Instanz zu Pflege der Architekturen mit entsprechenden Befugnissen anzugliedern. Sie müssen dabei auch neue Pfade einschlagen und die Grenzen zwischen einzelnen Baureihen stärker aufweichen, sodass Baugruppen breiter über die jeweiligen Fahrzeugsegmente genutzt werden können.

In jedem Fahrzeugabschnitt wird es für die OEMs eine grundlegende und extrem wichtige Herausforderung sein die eigenen strategischen Erfolgspositionen so genau wie möglich zu definieren. Dies kann nur auf Grundlage einer genauen Marktkenntnis und entsprechender Herleitung der Kundenanforderungen sowie einem genauen Verständnis ihrer Use Cases gelingen. Als wesentliche Hilfe können hierbei agile Entwicklungsansätze dienen, die durch permanentes abgleichen der identifizierten Kundenbedürfnisse mit der Realität durch kurzzyklische Sprints und Minimum Viable Products (MVP) ein unnötiges Overengineering vermeiden. Dies muss dabei organisatorisch auf breiter Fläche ausgerollt und auch von den Führungskräften entsprechend unterstützt werden. Gerade in Ausnahmesituationen wie Corona darf es von den Führungskräften nicht zu reflexartigen Rückfällen in die klassisch befehlsgeprägten Verhaltensmuster kommen. Da die stagnierenden Fahrzeugabsätze keine großen Wachstumschancen erlauben, wird ein sinnvoller Einsatz personeller Ressourcen wichtiger denn je. Es gilt dabei auch im Organigramm entsprechend für klare Strukturen zu sorgen. Doppelfunktionen und überschüssige Rollen – noch aus altbekannten Matrixorganisationen – müssen dabei identifiziert und konsequent hinterfragt werden.

Zusammenfassung

Das Meistern der großen Herausforderungen und der Wandel der Geschäftsmodelle vor denen die Automobilindustrie steht, wird in großem Maße davon abhängig sein wie gut OEMs und Zulieferer ihr Komplexitätsmanagement im Griff haben. Die Senkung der Kosten, um hohe Investitionen in die strategischen Erfolgspositionen der Zukunft (Elektrifizierung, Digitalisierung und Dienstleistungen) zu ermöglichen, können nur so beantwortet werden. Mit der Corona-Krise wird diese Situation noch weiter verschärft, da sich die Hersteller mit Investitionen in höhere Bestände und im Zweifel mehr Local Sourcing absichern möchten. In sämtlichen klassischen Fahrzeugmodulen erwarten wir daher Integrations- und Standardisierungsbemühungen auf Komponentenebene. Diese erlauben dadurch dann wiederum die Einführung von modularen Baugruppenarchitekturen, für die bereits die Zulieferer Sorge tragen können. Da die OEMs kein Ressourcenwachstum anstreben, wird sich auch die Fertigungstiefe weiter reduzieren müssen und es entstehen neue Geschäftsfelder für die Zulieferer. Insgesamt muss dabei auch das Innovationsmanagement überdacht werden. Eine Stärkung des Baukastenmanagements mitsamt intensiverer Nutzung agiler Arbeitsmethoden erlaubt ein besseres Treffen von Kundenbedürfnis und hebt weitere Effizienzen. Auch das Zusammenarbeitsmodell zwischen Zulieferer und OEM sollte stärker auf Kooperation, als auf Preisdruck ausgelegt werden, um gemeinsamen Nutzen durch eine Beteiligung in der Konzeptionsphase und entlang der Wertschöpfungskette zu ermöglichen.

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